Dienstag, 27. November 2012

Ach wärst du damals still geblieben! – Christa von Bernuths »Damals warst du still«


Manchmal kommt es vor, dass eine gute Idee sich in ihrer Ausführung als nicht annähernd so gut erweißt, wie man vor ihrer Umsetzung in ein Buch gedacht hat. Der Text scheint sich gegen seine Fertigstellung zu wehren, die Handlungsfäden werden zunehmend verworren und die beabsichtigte Stimmung will sich nicht recht einstellen. Doch warum? Meist ist ein gewisser Übereifer die Ursache. Man will zu viel in ein und die selbe Story packen, was dazu führt, dass die Erzählung grandios scheitert. Das lässt sich schön an Christa von Bernuths Thriller »Damals warst du still« [1] zeigen, dem genau das widerfahren ist.

Kurz zur Story: der 16-jährige Samuel Plessen wird tot und verstümmelt auf dem Gelände eines Clubs in München von den Drogenfandern David Gerulaitis und Janosch Kleiber aufgefunden. In seinen Körper ist das Wort 'warst' eingeritzt. Kriminaloberkommissarin Mona Seiler wird auf den Fall angesetzt. Bald stellt sich heraus, dass es eine weitere Tote gibt, die auf ähnliche Weise ums Leben gekommen ist. Auch auf ihren Körper wurde ein Wort eingeritzt. Seiler beginnt an eine Mordserie zu glauben.

Es stellt sich heraus, dass die Tote, Sonja Martinez, die Patientin von Fabian Plessen, dem Vater Samuels, war. Da ein Zusammenhang mit den Psycho-Seminaren Plessens vermutet wird, schleußt die Polizei Gerulaitis als verdeckten Ermittler ein. Er soll herausfinden, ob Plessen oder einer seiner Klienten in die Mordfälle verwickelt sind. Wärenddessen geht die Suche nach dem Mörder weiter, über dessen Innenleben wir durch eingeworfene Rückblenden, die von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter reichen, schrittweise mehr erfahren. Zugleich werden die psychischen Auswirkungen, die der Seminarbesuch auf Gerulaitis hat, geschildert. Es stellt sich heraus, dass der Mörder verwandschaftliche Verbindungen zu Plessen hat, wodurch die drei Handlungsstränge des Buches miteinander Verknüpft werden sollen.

Roman mit sprachlichen Aussetzern


Handwerklich ist der Text, was die Sprache angeht, weitgehend ordentlich, wenn auch nicht preisverdächtig geschrieben. Leider gibt es aber immer wieder kleinere sprachliche Aussetzer, die einem unbedachten Leser wahrscheinlich nicht auffallen würden, aber einem Lektor nicht hätten durchgehen dürfen. Ein Beispiel ist die Passage, in der es heißt 

»[...] Ohne Plessens Antwort abzuwarten, kramte sie in ihrer Tasche nach den Fotos von der Leiche. [...]«. 

Das ist umgangssprachlich und gehört nicht in den Erzähltext eines professionell geschriebenen Romans. Eher hätte man so etwas schreiben können wie 

»[...] kramte sie in ihrer Tasche nach den [Tatort]-Fotos, die die übel zugerichtete Leiche Sonja Martinez' zeigten.«

Eine weitere Stelle, die stilistisch nicht ganz rund ist, findet sich in folgendem Satz:, 

»Vielleicht lag es daran, dass sich in ihm an diesem Abend etwas, das von entfernt an ein schlechtes Gewissen erinnerte, bleischwer auf den Magen legte.« 

Das 'von' in dem eingeschobenen Satz ist an dieser Stelle völlig überflüssig und zieht auch hier den Satz ins Umgangssprachliche, ganz abgesehen davon, dass hier eine klassische Krimisprache emuliert werden soll.

Es ließen sich noch weitere Stellen finden, die die sprachlichen Probleme des Romans illustrieren könnten, jedoch reicht der Platz in diesem Artikel nicht aus, diese in aller Ausführlichkeit zu behandeln.

Strukturelle Probleme des Textes


Claudia von Bermuths Roman basiert auf einer interessanten Idee, – nämlich dem Leser einen Einblick in das Innenleben eines Mörders zu geben und so jenem nachvollziehbar zu machen, wie es zu den Taten gekommen ist, über die die Erzählung berichtet (Das erinnert ein wenig an Sebastian Fitzek oder Tess Gerritsen). Leider hat die Autorin die Idee bei der Ausführung ihres Romans etwas verschenkt.

Bermuth macht gleich zu Anfang der Erzählung den Fehler, mit der Tür ins Haus zu fallen, indem sie dem Leser einen Einblick in das Innenleben des Mörders gewährt und sich dabei auf das Soziopathen-Klischee vom kleinen Jungen, der gerne Tiere quält und eine gefühlskalte Mutter hat, zurückzieht. Dabei ist der Abschnitt von der sprachlichen Seite her gesehen völlig in Ordnung, er kommt lediglich zu früh im Roman und bietet dann statt einer tiefen psychologischen Deutung nur Allgemeinplätze, die jedem hinlänglich bekannt sein dürften, der schon einmal eine Serienmörderstory gelesen oder gesehen hat. Das setzt sich in den Rückblenden, die das Leben des Mörders illustrieren, fort. Stellenweise ließt sich der Text so, als ob er eine Zusammenfassung der Thesen von John Douglas, die er in »Die Seele des Mörders« und »Mörder aus Besessenheit« [2,3] zum besten gegeben hat, wäre.

Aber auch die Passagen, die sich um das Seminar Plessens entwickeln, sind nicht frei von Klischees, wobei jene in diesem Fall aus dem Bereich der Psychotherapie entstammen. Hier werden Versatzstücke aus verschiedenen Weltanschauungen und Therapieformen miteinander auf eine Art und Weise vermischt, die demjenigen, der sich mit diesen Themen schon einmal befasst hat, nur ein müdes Gähnen des »Um Gottes Willen, nicht schon wieder« entlockt. Da ist zum Beispiel das Familienstellen, das aus der systemischen Therapie entnommen wurde, sowie Versatzstücke aus Buddhismus und Yoga (es fehlt nur noch, dass jemand seinen Namen tanzen muss). Das alles ist so ungeschickt zusammengerührt, dass eine echte Einheit nicht zustandekommen will und so die Versatzstück als solche sichtbar bleiben.

Die Erzählung ertrinkt in einer Überzahl der Themen


Was aber letztendlich den Roman zum Scheitern bringt, ist gar nicht so sehr, dass er streckenweise die üblichen Klischees ausbreitet (Genreliteratur neigt ja generell dazu, sich formelhafter Ausdrucksformen zu bedienen), sondern vielmehr daran, dass sich Bernuth nicht entscheiden konnte, was für einen Roman sie eigentlich schreiben wollte. Jede Idee für sich hätte eine interessante Erzählung ergeben können, aber dadurch, dass sie all diese Ideen in einem Buch unterbringen wollte, ist keine einzige richtig zum Zug gekommen. Die Folge ist, dass über weite Strecken keine rechte Spannung aufkommen will, weil die Wechsel zwischen den verschiedenen Themenebenen seltsam unmotiviert wirken und die Ebenen nicht wirklich miteinander verknüpft sind (wie man dies klug angeht, kann man z. B. bei Tess Gerritsen sehen).

So hätte man aus der Innenschau des Mörders einen ganzen Roman schreiben können, der von dem Konflikt zwischen der Gedankenwelt des Mörders und seiner Verfolger lebt und die Hintergründe für die Entwicklung des Antagonisten zum Serienmörder aufzeigt. Ebenso hätte sich der Gwrulaitis-Strang zu einer eigenen Story ausarbeiten lassen können, in der man die Gefahren von Psycho-Kulten und die Auswirkungen, die deren Techniken auf ihre Opfer hat, ausarbeitet. Zudem hätte man aus der Eutanasie-Ebene, die ebenfalls im Roman vorhanden ist, eine Studie über die Fehlbarkeit von Menschen und die Grausamkeit des Naziregimes machen können.

Indem Bernuth nun versucht, all diese Ebenen in einer einzigen Erzählung zu verquicken, dreht sie jeder einzelnen Ebene die Luft ab, so dass sich keine einzige über das Klischee hinausbewegt und das Buch zu einem Roman macht, der schnell gelesen, aber auch schnell wieder vergessen ist.

Weniger ist mehr


Was lässt sich daraus also für das eigene Schreiben lernen? Im Wesentlichen, dass man nicht zuviel wollen sollte. Es ist schön, gute Ideen zu haben, aber man sollte nicht sein ganzes Pulver in einer einzigen Story verschießen und sich gut überlegen, wie die einzelnen Erzählebenen miteinander verknüpft werden können. Eine Idee sollte Teil einer Erzählung werden, weil sie die Erzählung voranbringt und nicht um ihrer selbst willen in die Story gezwängt werden.

Auch hier gilt: »Kill your Babies«. Tut man es nicht, hat das zur Folge, dass man die Story 'overworked' und schließlich mit einem konstruiert wirkenden Text voller Klischees dasteht, der mehr schlecht als recht funktioniert. Das ist übrigens auch bei »Damals warst du still« so. Bernuth muss, um die verschiedenen Stränge am Ende zusammenführen zu können, zu einem deus ex machina greifen, was erstens schlechter Stil und zweitens tödlich für jede Spannung in einem Krimi ist, da die Auflösung von außen aufgepfropft bleibt und künstlich wirkt.

Literatur


[1] Bernuth, Christa von: »Damals warst du still«, München 2005(1).
[2] Douglas, John u. Olshaker, Mark: »die Seele des Mörders - 25 Jahre in der FBI-Spezialeinheit für Serienverbrechen«, München 1998.
[3] Douglas, John u. Olshaker, Mark: »Mörder aus Besessenheit - Profiling: die erfolgreiche Jagd nach Triebverbrechern«, München 2000.

Keine Kommentare: