Freitag, 24. Juni 2016

Nicht nur für Neo: Lesungen im Cyberspace



Jeder Self Publisher oder Kleinautor, der nicht nur für sich selbst im stillen Kämmerlein schreiben will, hat früher oder später das Problem, dass er seine Texte dem Publikum näher bringen muss. Es über Facebook zu versuchen, ist ein naheliegender Weg. Sich um Lesungen in Cafés und anderen Lokalitäten zu bemühen ein anderer. Lesungen sind zudem lokal begrenzt und nicht jeder Bekannte aus den sozialen Medien kann die mitunter weiten Wege auf sich nehmen, um an einer solchenteilzunehmen. Thorsten Küper und seine Frau Kirsten Riehl haben dafür eine Lösung gefunden: Virtuelle Lesungen im Second Life. Im Interview verraten sie, wie es dazu gekommen ist und was den besonderen Reiz von Lesungen im Second Life ausmacht.

LF: Hallo Thorsten, hallo Kirsten, ihr macht nun schon lange virtuelle Lesungen auf der Plattform Second Life. was hat euch ursprünglich dazu veranlasst, diesen Weg zu gehen? 

Kirsten: Ich habe irgendwann ­ mehr zufällig als bewusst ausgewählt ­ Second Life entdeckt und war sehr fasziniert von der virtuellen Welt. Nach einer Weile hatte ich allerdings das Gefühl, dass ich die Möglichkeiten ausgereizt hätte und war kurz davor, dieser Welt wieder den Rücken zu kehren. Da habe ich mich auf die Suche nach Lesungen gemacht, weil ich dachte, dass Second Life dafür die ideale Plattform wäre und ich mir nicht vorstellen konnte, dass es das (noch) nicht gibt. Was soll ich sagen? Es gab keine deutschsprachigen Lesungen! Das war die Geburtsstunde der Literaturgruppe Brennende Buchstaben.

Thorsten: Mich hat zunächst fasziniert, welche Möglichkeiten SL Musikern und DJs bietet. Dabei habe ich mich sofort gefragt, wie sich das alles für Autoren nutzen lässt, die aus ihren Büchern lesen wollen.  

LF: Könnt ihr kurz beschreiben, was für euch das Besondere an Second Life ausmacht?

Thorsten: SL und vergleichbare Plattformen faszinieren mich, weil sie genau das sind, was ich mir seit den frühen C64 Zeiten gewünscht habe. Begehbare virtuelle Welten, in denen man auf Nutzer aus der ganzen Welt treffen kann. Noch dazu kann ich selbst einen eigenen Teil dieser Welt gestalten und das genau auf meine Wünsche zugeschnitten. Noch dazu kann ich mit anderen Bewohnern zusammen arbeiten und wir können gemeinsame Projekte entwickeln.  

Kirsten: Sich mit der ganzen Welt verbinden. Freundschaften schließen über geografische Grenzen hinweg.

LF: Was macht für euch den spezifischen Reiz von virtuellen Lesungen aus?

Kirsten: Wir können die Lesungen ausschmücken wie eine Theaterbühne und das immersive Erlebnis ist größer als bei einer Buchlesung im herkömmlichen Sinne, wo ich nur den Autor und sein Buch anstarren kann. In Second Life kann man Räume, Landschaften, ganze Szenerien nachbauen passend zur Geschichte.

Thorsten: Zwei Autoren, der eine in Wien, der andere im Ruhrpott können gemeinsam lesen und das 
vor einem Publikum aus ganz Deutschland, Österreich oder der Schweiz und am selben Abend kann auch noch eine Kollegin auftreten, die auf den kanarischen Inseln lebt. Das alles wäre im realen Raum nicht realisierbar. Noch dazu kann jedes denkbare Bühnenbild geschaffen werden. Von der historischen Ruine über eine futuristische Großstadt bis zur Raumstation ist alles möglich.  

LF: Seht ihr Unterschiede zu Lesungen im realen Leben?  Was macht für euch den Unterschied aus?

Kirsten: Es ist viel einfacher, sich zu Lesungen zu treffen und Schriftsteller/innen und Publikum zusammen zu bringen, weil wir im virtuelllen Raum unabhängiger sind von Entfernungen und Mobilität.

Thorsten: Einige Vorleser sind zunächst skeptisch, weil sie glauben, dass eine virtuelle Lesung zu abstrakt ist und der Kontakt zum Publikum fehlt. Als erstes stellt sich dann das Lampenfieber ein. Es ist dasselbe wie bei einem echten Auftritt. Dann machen sie selbst die Erfahrung, dass die Anwesenheit des Publikums spürbar ist und dass das Feedback genau so intensiv sein kann, wie bei einer Lesung auf Messen, Cons oder anderen Veranstaltungen. Die meisten sind überrascht darüber, wie sehr die Zuhörer mitgehen und sich bemühen, den Autor auch wissen zu lassen, sie ihm tatsächlich zu hören. Noch dazu können die Gäste nachher selbst per Mikrofon Fragen stellen oder Kommentare abgeben. Ich selbst habe "Echte" Lesungen erlebt, bei denen das Publiukum viel hölzerner reagiert hat, als Avatarzuhörer im Metaversum.  

LF: Lesungen, die nicht im virtuellen Raum stattfinden, sind oft nur mäßig besucht. Wie sieht das im Second Life aus?* 

Thorsten: Das kann uns natürlich auch hier passieren, allerdings sind es erfahrungsgemäß meistens zwischen 20 und 25 Zuhörer. Oft auch mehr. Der Spitzenwert beim BB E­Book Event 2016 lag bei 40 Zuhörern. Den absoluten Rekord hält Anja Bagus mit 50 Gästen bei einer Halloween Lesung.  

Kirsten: Am Anfang, als wir noch nicht so bekannt waren, erging es uns ähnlich. Da haben wir um jeden Zuhörer gekämpft. Mittlerweile besuchen im Schnitt 25 bis 30 Avatare eine Lesung, und manchmal sitzt vor dem Bildschirm eines Avatars auch mehr als eine Person.
 
LF: Wie schätzt ihr euer Publikum ein? Ist es engagierter als das übliche Publikum?*

Thorsten: Ob sie engagierter sind als andere Zuhörer kann ich nicht beurteilen. Was mir auf Cons auffällt ­ also im Bereich der Fantastik ­ ist eine gewisse Trägheit der Fans. Da bleiben Lesungen unbesucht, während man sich auf den Gängen oder an der Theke tummelt und die eigentlichen Programmpunkte ignoriert. Das kann man natürlich schlecht mit einer virtuellen Lesung vergleichen. Unsere Zuhörer erscheinen regelmäßig. sie kostümieren sich passend,  sie unterstützen uns bei der Werbung, bringen Freunde mit, schreiben sogar längere Blogpostings über Lesungen. Sie haben offensichtlich Spaß daran und sie erscheinen aus Interesse, nicht nur um höflich zu sein. 

Kirsten: Ja ich denke schon. Wir haben etliche Besucher/innen, die nicht nur rezipieren, sondern auch aktive Unterstützung anbieten. Es ist ja mit dem Einladen des Autors nicht getan. Hinzu kommt die Werbung, und wir sind darauf angewiesen, dass die wiederum in den sozialen Netzwerken geteilt wird. Dann haben wir Leute, die gut darin sind, Bilder von den Lesungen zu machen, andere bloggen über die Events und erhöhen so den Bekanntheitgrad. Nicht zu vergessen sind die Leute, die die Kulissen bauen. Da entstehen richtige Kunstwerke. Es steckt Herzblut drin.


LF: Was macht euer Projekt einzigartig und gibt es Konkurrenzprojekte?

 Kirsten: Nein Konkurrenz haben wir nicht. Nicht, weil wir die Einzigen wären, die Lesungen machen würden, das machen Andere auch, sondern weil ich das nicht als Konkurrenz bezeichne. Uns wird nichts weggenommen, wenn andere auch Lesungen anbieten. Wir haben Freunde, die unsere Lesungen besuchen und selber auch Lesungen anbieten. Lesungen haben keinen Abnutzungseffekt wie Sahnetorte ­ wenn man die aufgegessen hat, ist sie weg.

Thorsten: Es gibt verschiedene Venues in SL, die ebenfalls Lesungen anbieten. Samiraa Addersteins Yúcale Coffee Gallery, BukToms Pegasus Bibliothek, das SL Planetarium von Bastian Barbosa oder Clairediluna Chevaliers SL Stuttgart . Wir stehen aber nicht in Konkurrenz, wir basteln meistens an gemeinsamen Projekten. Und ein Autor, dem es Spaß gemacht hat, bei uns vorzulesen, wird das natürlich auch gern für andere Gastgeber tun.  

LF: Wenn ihr den Lesern einen Tipp in Bezug auf das Autor­Sein geben solltet, welcher wäre das?

Thorsten: Sieh zu, dass du dafür Geld bekommst.  

Kirsten: Hm, da fällt mir nichts ein. "Habe Talent zum Schreiben!" ­ ist das ein brauchbarer Tipp?
  
Thorsten, Kirsten, ich danke euch für das Gespräch.